Spassbremse

Dies ist hoffentlich vorderhand meine letzte Ersatzkolumne; in zwei Wochen werden Sie hier wieder Ina Müller lesen können. So will ich mich noch etwas unbeliebt machen: Ich bin nämlich nicht nur ein Warmduscher (vgl. P.S. vom 5. Juli 2007), sondern, noch viel schlimmer, auch eine Spassbremse. Nicht dass ich grundsätzlich etwas gegen Spass hätte. Ich liebe Spass. Nur nicht jederzeit, überall und um jeden Preis.

Spass bereitet es mir beispielsweise, mit Freunden ein Fussballspiel zu schauen, so richtig mit Bier und allem was dazu gehört. So freut es mich, dass die Zürcher Behörden während der Fussball-Weltmeisterschaft diesen Spass auch im Freien zulassen. Zum Glück wohne ich nicht in der Nähe einer Gartenbeiz, denn sonst wäre meine Freude dann aber doch etwas getrübt. Einen Monat lang jeden Abend Spiele bis um halb elf Uhr nachts, danach noch die Analysen der Experten und die Siegesrituale der ZuschauerInnen – da braucht man einen gesunden Schlaf, sonst geht das irgendwann an die Substanz. Seine gesetzlich garantierte Nachtruhe einzufordern aber ist ein Verbrechen an der Spassigkeit, extrem uncool und Inbegriff der Bünzligkeit. Schlimm, schlimm! Besonders in einer Zeit, wo jeder Bünzli sich Szenikleider anzieht und auf dem gepimpten Bike ins Xenix und die Badi Enge pilgert, weil er bei Ron Orp und in der Gratispresse gelesen hat, dass das cool und unbünzlig ist.

Gut, cool und unbünzlig ist es ja heute eben, zusammen Fussball zu schauen, deshalb hat der Stadtrat mit seinem Entscheid auch beweisen müssen, dass Zürich keine Spassbremse ist, denn die Lifestyle-Metropole der Schweiz darf sich doch nicht als uncool und bünzlig ertappen lassen. Leute, die sich für Fussball nicht interessieren, brauchen ja auch nicht in der Nähe einer Gartenbeiz zu wohnen, dort sollen die hin, die sich für Volley-, Korb- und Faustball nicht interessieren. Denn die Volley-, Korb- und Faustballfans werden ihre Meisterschaften weiterhin in der Stube ansehen müssen, genauso die Schachinteressierten. Nicht mal Roger Federers Tennis ist so cool, dass man ihm Public Viewings gönnte!

Nun weiss ich zwar, was ich als Fussballfreund dazu denke und was als Bünzli und Spassbremse – eine Haltung als Linker fehlt mir zu dem Thema aber noch. Spass ist ja kein linkes Konzept. Die Wohnqualität in der Stadt wäre eins. Ist Fussballschauen im Freien nun der Wohnqualität zuträglich oder abträglich? Braucht die Stadt mehr Events und Spass, oder doch eher etwas mehr Ruhe und Entspanntheit?

Egal, denn nach dem Spiel gehts ja erst richtig los, da setzen sich die Siegerzuschauer in ihre Autos und fahren hupend durch die Gegend. Während der letzten W- oder EM habe ich es noch gewagt öffentlich zu sagen, dass ich grundsätzlich immer für die Mannschaft war, deren Landsleute weniger hupen. Da musste ich mich aber schön belehren lassen: Intolerant, bünzlig, eben eine Spassbremse. Ich empfinde hupende Triumphparaden als nationalistisches Machogehabe und sehe weiterhin nicht ein, wieso ich sowas nett finden sollte. Blochers Treichlerbrigaden sind mir als Lärmquelle noch wesentlich sympathischer. Ich bin halt ein Bünzli. Aber natürlich nicht wirklich, denn auch für mich gilt, wie für alle anderen Bünzlis: Die Bünzlis, das sind immer die anderen.

Dieser Text erschien am 10. Juni 2010 im P.S., www.pszeitung.ch.