Kunstraub

Auf Grund besonderer Umstände und schicksalshafter Fügung habe ich heute und in zwei Wochen wieder die Gelegenheit, mit Ersatzkolumnen auszuhelfen. Nachdem ich mich das letzte Mal mit Piraterie befasst hatte, soll es heute die Räuberei sein (so brauche ich auch kein neues Foto zu machen) – im Besonderen der Kunstraub, von dem in den letzten Tagen die Medien wieder einmal voll waren.

Ein grosser Kunstraub wie der in Paris hat ja immer zwei Komponenten. Einerseits eine moralische: Ein Räuber, oder sein Auftraggeber, nimmt sich ein Werk von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung, schliesst es in seinen Tresor ein und entzieht es so dem Auge der Allgemeinheit. Anderseits die finanzielle: Die Bilder haben einen Wert von vielen Millionen, sind, wie wir erfahren, unterversichert, da die Versicherung des vollen Werts die Budgets der Museen sprengen würde. Was mich nun regelmässig nach Kunstrauben ärgert ist, dass die BerichterstatterInnen fast ausschliesslich den finanziellen Aspekt behandeln. Kein Grund allerdings, das nicht auch noch zu tun.

Was ist genau der Schaden, wenn Picassos «Taube mit Erbsen» gestohlen wird? Wieviele Millionen? Auf welche Weise bemisst sich dieser Wert? Er beruht wohl primär auf der Erwartung, was das Bild beim Verkauf einbringen würde. In dem Sinne ist der Markt für etablierte Kunst verwandt mit dem Markt für moderne Finanzprodukte, deren «Wert» genauso auf der Erwartung beruht, was jemand anderes dafür zu einem bestimmten Zeitpunkt zu zahlen bereit wäre. Die konkreten Qualitäten des Werks treten dabei in den Hintergrund, es wird zum Anlage- oder gar Spekulationsobjekt. Mit den Phantasiepreisen, zu denen die «grosse» Kunst gehandelt wird, fabriziert der Kunstmarkt wie der Finanzmarkt Werte um ihrer selbst willen – und da, was einen Phantasiewert hat, auch attraktiv ist zum Stehlen, ist der Kunstraub wohl eine zwingende Begleiterscheinung des Kunstmarktes.

So finde ich den Kunstraub auch nicht schlimmer als den Kunstmarkt – beziehungsweise: der Kunstmarkt ist auch eine Art Kunstraub. Die lebenden KünstlerInnen sind in aller Regel auf Zuwendungen der Öffentlichkeit angewiesen, doch falls sie es so subventioniert irgendwann in den Kanon schaffen (und dann oft schon tot sind), verdienen sich Private mit ihren Werken eine goldene Nase. Der Staat trägt die Kosten, der Private streicht den Gewinn ein; das kennen wir doch schon von irgendwo her.

Wer ein paar oder ein paar hundert Millionen übrig hat, soll doch, statt eines Picassos oder Braques, Werke lebender KünstlerInnen kaufen. Er kriegt erstens viel mehr Kunst für den gleichen Preis, kann sich zweitens rühmen, einen belebenden und gar steuernden Einfluss auf die Gegenwartskunst zu haben, und drittens werden ihm die Bilder nicht geklaut, sondern erst seinen Enkeln. Meine persönlichen Empfehlungen für den Anfang: www.schwarzbek.ch, www.zanré.ch, www.haekelobjekt.ch, www.zobristwaeckerlin.ch, und wenn Sie ein besonders grosses Entrée haben: www.werkplatz-galerie.ch.

Dieser Text erschien am 27. Mai 2010 im P.S., www.pszeitung.ch.