Mitte Oktober erschien im «Magazin» des Tages-Anzeigers ein Artikel von Urs P. Gasche, den ich allen politisch Interessierten ans Herz legen möchte. Er ist unter dem Titel «Die Krise und wie wir aus ihr herauskommen» auf Infosperber abrufbar (www.infosperber.ch). Gasche kritisiert, dass die Wirtschaftspolitik von Links bis Rechts auf den (verzweifelten) Versuch abzielt, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln – Wachstum aber sei kein taugliches Konzept für die Zukunft der Menschheit. Wenn die Politik sich vom Zwang zum Wachstum befreit, so Gasche, kann sie sich wieder auf die drei ursprünglichen Ziele des Wirtschaftens besinnen: Die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, ihnen (allen!) ein existenzsicherndes Auskommen zu geben, und die allgemeine Lebensqualität nachhaltig zu verbessern.
Hier wirft Gasche die Frage auf, die ich mir in den letzten Jahren beim Zeitunglesen oft stellte: Wem soll Wirtschaft dienen?
Vor Jahren, als das Internet neu war und ich ein junger Webdesigner, besuchte ich eine Tagung zum Thema E-Government. In einem Vortrag über Projektmanagement lernte ich, dass ein Projekt nur Erfolg haben kann, wenn alle Stakeholder einbezogen werden. «Stakeholder» meint: Die auf irgendeine Weise Beteiligten. Dies dürfte in den Kaderschmieden zum Basisstoff gehören, und bestimmt machen es die Manager dann auch bei allen Projekten genau so, dass sie alle Stakeholder an einen Tisch holen, und wenn nicht, geht das Projekt bachab. Umso erstaunlicher ist, dass sie es dann als PolitikerInnen beim Projekt «Wirtschaft» so ganz anders sehen.
Die Stakeholder der Wirtschaft wären wohl grob gesagt: KonsumentInnen, Angestellte, GeldgeberInnen, und schliesslich die politischen Behörden, die einerseits die demokratische Kontrolle ausüben und anderseits sicherstellen, dass niemand durch die Maschen fällt. Ihnen allen sollte die Wirtschaft dienen, und das ist beileibe keine sozialistische Idee. Ich erinnere mich, dass mein Grossvater, ein strammer Liberaler und Unternehmer, mir als Kind auseinandersetzte, dass eine blühende Gesellschaft und mithin Wirtschaft nur denkbar sei, wenn es allen gut gehe. Und er hatte seinerzeit gewiss nicht einmal Unterricht in Projektmanagement genossen.
Die heutigen, Projekt-erprobten Wirtschaftspolitiker aber wollen uns glauben machen, mit der Wirtschaft sei dies ganz anders, diese habe einzig und allein den GeldgeberInnen zu dienen, denn wenn diese mit ihren Investitionen weniger Gewinn machen, wirtschaften sie einfach anderswo, und dann habt ihr dann den Dreck! Statt also das Projekt Wirtschaft unter Einbezug aller Stakeholder sauber zu managen, versucht die Finanzelite, alle gegen alle auszuspielen. Der Skandal ist dabei, dass wir das mit uns machen lassen. Staaten bekämpfen einander eifrig im Steuerwettbewerb. Die EU verschachert die Demokratie in Freihandelsabkommen, statt ihre geballte Macht zu nutzen, um die Konzerne in die Schranken zu weisen. Und auch der kleine Bürger spielt Kapitalist, hat ein Fondssparkonto und spekuliert noch ein Bitzli an der Internetbörse – in der Überzeugung, ein Anrecht auf ein etwas grösseres Kuchenstück zu haben als sein Nachbar, als der Kranke, die allein erziehende Mutter, der Syrer und der Chinese.
Machiavellis Grundsatz «Teile und herrsche» mag einem König ungestörtes Regieren erlauben – für ein erfolgreiches Projekt taugt er aber nicht. Will die Wirtschaft wieder auf Kurs kommen, sollte sie sich an ihre eigenen Managementprinzipien erinnern.
Dieser Text erschien am 4. November 2016 im P.S., www.pszeitung.ch.