Passend zur Weihnachtszeit will ich mich heute mit dem Stern befassen. Jedoch nicht mit jenem von Bethlehem, sondern mit dem Stern, dem wir Linke seit einigen Jahren zunehmend begegnen, auch ab und zu im P.S.: dem so genannten Genderstern. Ich mag ihn nicht, er stört mich beim Lesen, aber ist das ein Grund, ihn abzulehnen? Das Gleiche sagten die SprachpuristInnen ja in den 80er-Jahren auch über das Binnen-I, an das wir uns mittlerweile gut gewöhnt haben. Schauen wir also erst mal, was genau dahinter steckt.
Wir finden den Genderstern in zwei Ausprägungen: Einerseits als Variante zum erwähnten Binnen-I – statt LeserInnen sind Sie dann Leser*innen – anderseits als Annex zu Frauen* und Männern* – Letzteres beispielsweise im «Manifest für eine konsequent feministische Sozialdemokratie» der SP Schweiz. Dort findet sich dann auch in einer Fussnote die folgende Erklärung: «Das Gendersternchen […] nach Geschlechtsnennungen soll auf deren Konstruiertheit hinweisen. ‹Mann› und ‹Frau› sind in unserem Verständnis keine naturgegebenen, starren und unmissverständlichen Kategorien, sondern zwei Konstrukte, die jeweils eine grosse Vielfalt an Identitäten umfassen. Das Sternchen macht darauf aufmerksam, dass diese Begriffe alle meinen, die sich damit identifizieren – und dass unser Denken über diese binären Konstrukte hinausgehen muss.»
Der Genderstern transportiert also die Weltsicht der Schreibenden. Das muss nicht falsch sein; auch das Schreiben mit dem Binnen-I ist noch immer eine Art Bekenntnis. Mir ist allerdings rätselhaft, was die Idee von der Konstruiertheit der Geschlechter ausgerechnet in einem feministischen Text zu tun hat. Wie kann man über die Diskriminierung des einen Geschlechts sprechen, wenn man gleichzeitig das Geschlecht an sich zur reinen Konstruktion erklärt? Natürlich muss auch die Diskriminierung queerer Menschen thematisiert werden, nur scheint mir das ein anderes Thema als die Diskriminierung der Frauen.
Gut, ich bin weder Frau noch queer, möglicherweise habe ich da einfach etwas noch nicht verstanden. Also zurück zur Sprache, da kenne ich mich aus. Eine ihrer Grundregeln ist das Ökonomieprinzip: Allgemeines wird knapper ausgedrückt, Spezielles ausführlicher. Bier braucht weniger Buchstaben als Lagerbier, das ist einfach zu verstehen. Und bei den Frauen und Männern funktioniert das nun nicht mehr, seit wir die männliche Bezeichnung nicht mehr als die allgemeine akzeptieren. Gefragt wäre also eine allgemeine Schreibweise für die Leserinnen und Leser (und von mir aus auch alle anderen), die knapper ist als zu sagen: «Leserinnen und Leser (und alle anderen)». Das ist ein Problem. Das Binnen-I löst es nicht, es ist nur der knappste Weg, beide Geschlechter zu nennen. Der Genderstern geht nun sprachlich gesehen in die genau falsche Richtung, denn statt alle zusammenzufassen, will er nicht nur die biologischen Geschlechter, sondern auch noch weitere Identitäten separat angesprochen sehen. Luise Pusch hat in den 80ern vorgeschlagen, die weibliche Endung zu spülen, das Geschlecht nur über den Artikel zu spezifizieren, und das Neutrum zu verwenden, wenn nicht spezifisch Mann oder Frau gemeint ist. Dies wurde damals als zu radikal empfunden – vielleicht wäre langsam Zeit, darauf zurückzukommen. «Das Leser» ist auch nicht radikaler als «der/die Leser*in». Und wenn es nicht der Stein des Weisen ist, ist es doch immerhin besser als der Stein des/der Weisen*.
Dieser Text erschien am 14. Dezember 2018 im P.S., www.pszeitung.ch.