In 6000 Jahren

Als Teenager habe ich die Bücher von Erich von Däniken quasi verschlungen, und noch heute bereiten mir seine Kolumnen in der Gratispresse eine Mischung aus Amüsement und Faszination. Sein Verdienst ist es, Interpretationen von Dingen zu hinterfragen, die wir für wissenschaftlich gefestigt und daher wahr halten. Zur Veranschaulichung fantasierte er in einem seiner Bücher darüber, was künftige ArchäologInnen wohl von den Betonsockeln der damals noch hölzernen Telefonstangen halten würden: Da die Kultur des 20. Jahrhunderts komplexe Bauwerke schaffen konnte, würde sie wohl kaum Stangen aus Holz verwenden, um daran Drähte für Kommunikationszwecke aufzuhängen – somit müssten diese Betonklötze mit den runden löchern wohl kultische Bedeutung gehabt haben. Was immer man von von Dänikens Ansichten hält – dieses Beispiel hat mich sehr inspiriert. Was wird in Zukunft wohl von unserer Zivilisation gefunden?

Die Zukunft, das ist heute alles was digital ist. Analog ist die Vergangenheit. Bücher auf Papier zum Beispiel. Ganze Bibliotheken werden digitalisiert, das ist super, denn so stehen die Werke weltweit auf Knopfdruck zur Verfügung. Es ist eine Frage der Zeit, bis man die Lagerräume, in denen die physischen Exemplare noch stehen, für bessere Zwecke nutzt. Schon vor Jahren entsorgte Radio DRS containerweise CDs, da die Musik ja jetzt direkt im Computer gespeichert ist. Aber die digitale Zukunft ist eine kurze: Haben Sie schon einmal versucht, ein Gedicht wiederzubekommen, das Sie als Teenager geschrieben und auf einer Floppy-Disk abgespeichert haben? Sie müssten in einem Museum einen PC mit Diskettenlaufwerk auftreiben. Und dazwischen sind keine 30 Jahre. Bedeutet also die Digitalisierung unseres kulturellen Erbes mittelfristig seine Vernichtung?

Aber selbst wenn unsere Nachkommen es schaffen, die angehäuften Datenbestände über die Jahrhunderte zu retten, so haben wir noch ein neues Problem: Die Menge an veröffentlichten Texten nimmt exponentiell zu, und es gibt keine Instanz, die Wichtiges überliefert und Unwichtiges löscht. Hat noch vor wenigen Jahren ein Verlag darüber entschieden, ob es ihm ein Text wert ist, Geld für die Veröffentlichung in die Hand zu nehmen, so publizieren wir heute alle frischfröhlich drauflos – vom spontanen Facebook-Kommentar bis zur hochkomplexen wissenschaftlichen Abhandlung landet alles gleichermassen in Form von Bytes auf Servern.

Ungefähr so stelle ich mir dann in von-Däniken-Manier einen sensationellen archäologischen Bericht aus dem Jahr 8016 vor:

«Die Geräte aus der Stahlbeton-Kultur, die in den letzten zehn Jahren in der Gegend von Zürich gefunden wurden, haben die Wissenschaft bis jetzt vor Rätsel gestellt, da sie als Werkzeuge, Möbel, Geschirr, Fahrzeuge oder Ähnliches nicht tauglich sind. Viele Kollegen glaubten deshalb, dass diese Geräte kultischen Zwecken dienten. Unsere neusten Erkenntnisse zeigen nun aber: Die Geräte dienten als Datenspeicher und zur Verarbeitung der gespeicherten Daten. Wir konnten bereits mehrere Fantastilliabytes an binären Daten rekonstruieren und arbeiten an der Auswertung. Erste Textausschnitte, die wir wiederherstellen konnten, geben neue Rätsel auf:

‹Ich sags nochmal diese Kuh Sommaruga gehört gehörnt und gesteinigt entlich.› – ‹Google.ch angeboten auf: English Français Italiano Rumantsch› – ‹Mann han ich en Kater 🙂 hueregeil xi, danke Jungs! 7 Personen gefällt das.› – ‹In 6000 Jahren. Als Teenager habe ich die Bücher von Erich von Däniken quasi verschlungen… [weitere 3600 Zeichen noch nicht entschlüsselt] … 1529 Personen gefällt das.›

Die Interpretation dieser Texte wird noch einige Anstrengungen benötigen – doch die Hoffnung wächst, dass wir endlich etwas über die Geisteswelt dieser antiken Kultur erfahren!»

Dieser Text erschien am 23. September 2016 im P.S., www.pszeitung.ch.