Das Coronavirus bringt uns auseinander, es spaltet die Gesellschaft in zwei Lager, die nur noch schwer miteinander reden können. Ich war von Anfang an im Lager der Massnahmen-Befürworter (bei aller Kritik an den Erlassen im Detail), bin mittlerweile geimpft und bewege mich in einem Umfeld, wo fast alle ähnlich denken wie ich. Mit Leuten, die glauben, es stehe hinter dem Virus ein böser Plan einer geheimen Elite, mag ich nicht mehr reden. Zwei Argumente gegen die Impfung jedoch, die ich immer wieder höre, klingen auf den ersten Blick einleuchtend und sind schwierig zu kontern; ich möchte diese hier näher beleuchten:
Das eine ist die kurze Zeit, in der die Impfungen entwickelt und getestet wurden. Keine neue medizinische Technologie sei je so schnell auf den Markt gekommen, die Pharmaindustrie missbrauche uns als Versuchskaninchen. – Dies hat ja tatsächlich was. Auch ich hatte ein leicht mulmiges Gefühl, mir etwas in den Körper spritzen zu lassen, von dem keinerlei Langzeitfolgen erforscht sind. Aber ist das etwas Besonderes? Immerhin machen wir uns als KonsumentInnen dauernd zu Versuchskaninchen. Neue Produkte kommen kaum getestet in den Handel. Alle paar Jahre wieder explodieren Mobiltelefone, weil die neuste Akku-Generation noch Kinderkrankheiten hat. Trotzdem stehen die Leute für ein neues Gerät in Horden an, statt abzuwarten, bis langfristige Erfahrungswerte mit der neuen Technologie vorliegen. Wir kaufen begeistert nano-beschichtete Outdoor-Kleidung, obwohl die Langzeitfolgen der Nanotechnologie noch völlig unerforscht sind – immerhin haben wir es hier mit Teilchen zu tun, die klein genug sind, um unsere Haut zu durchdringen und in unser Inneres zu gelangen. Das ist alles nichts Neues, erinnern wir uns etwa an den unbedarften Umgang mit Asbestzement oder mit der Atomkraft in der Vergangenheit. Ich kann dieses Argument deshalb nur akzeptieren von Menschen, die einen sehr anspruchslosen Lebensstil pflegen und sich auch sonst den Segnungen der Technik verweigern. Nicht aber von DurchschnittskonsumentInnen, besonders nicht von Leuten, die gern immer die neusten Gadgets kaufen, und schon gar nicht von jenen, die sich auf Partys Substanzen einwerfen, von denen sie keine Ahnung haben, woher sie stammen.
Das zweite Argument ist: Wenn du ja geimpft bist, wieso hast du denn noch Angst vor uns Ungeimpften? Dir kann ja nichts mehr passieren. – Nun, das leuchtet natürlich ein… Abgesehen davon, dass keine Impfung zu 100 Prozent schützt. Und abgesehen davon, dass es nicht nur um mich geht: Je mehr Menschen sich anstecken, desto öfter mutiert das Virus, und damit steigt auch die Gefahr einer Variante, gegen die die Impfung nicht oder weniger gut schützt. Und wenn die Zahl der Ansteckungen steigt, wird es auch wieder neue Einschränkungen und Massnahmen geben. Je weniger Leute sich also impfen lassen, desto länger dauert der Weg zurück zur Normalität.
Wie gesagt: Ich finde es schade, dass das Virus derart polarisiert. Anderseits habe ich von Impfgegnerseite noch nichts gelesen oder gehört, das ich bei näherer Betrachtung sinnvoll finde. Ich habe mich impfen lassen, weil ich wieder ein normales Leben will, weil ich ein Fest feiern, Konzerte besuchen, in der Bar abhängen will. Dafür nehme ich es in Kauf, Versuchskaninchen zu sein – in vielen anderen Lebensbereichen bin ich es ja, freiwillig oder unfreiwillig, auch.
Dieser Text erschien am 2. Juli 2021 im P.S., www.pszeitung.ch.