Was braucht es, damit die zweitgrösste Schweizer Bank in Schieflage gerät? – Hätten wir vor einem Monat gesagt: «Es braucht zwei Anlagefonds, die pleite gehen», hätten uns unsere bürgerlichen Kumpels jovial auf die Schulter geklopft und gemeint: «Schon gut, alter Antikapitalist, aber seit dem UBS-Debakel von 2008 kann sowas natürlich nicht mehr vorkommen.» – Nun, natürlich ist es wieder vorgekommen, und würde es nur die Spekulanten betreffen, könnten wir sagen: So what, ohne Risiko kein Gewinn. Aber nein: würde es die Credit Suisse «lüpfen», müsste wieder der Steuerzahler einspringen, um den Ruin Tausender Kleinsparender und massive Schäden an der Wirtschaft zu vermeiden – mit «Wirtschaft» meine ich hier die reale Wirtschaft, die Produkte herstellt oder Dienstleistungen erbringt.
In Thomas Manns «Buddenbrooks» kauft der reiche Kaufmann dem Bauern die künftige Ernte zu einem günstigen Preis ab. Kommt die Ernte gut heraus, macht der Kaufmann einen fetten Gewinn; wird sie aber durch Hagel vernichtet, macht er einen Verlust und der Bauer profitiert, denn ohne das Geschäft wäre er ruiniert. Ein Beispiel dafür, dass Spekulation nicht einfach nur vom Teufel ist, sondern in ihrer Urform nützlich sein kann. Viele Unternehmen gäbe es nicht, hätten nicht risikofreudige Investoren sie am Anfang mit Kapital versorgt. Solche wichtigen Funktionen nimmt der Finanzmarkt zweifellos auch heute noch für die Wirtschaft wahr. Darüber gestülpt ist jedoch ein anonymer Anlagemarkt, ein gewaltiger Overhead aus reinem Selbstzweck. Undurchschaubare Anlagekonstrukte, Leerverkäufe, Hochfrequenzhandel usw. haben keinerlei Nutzen für die reale Wirtschaft, sie dienen allein dem Zweck, die Gewinne von Anlegern zu maximieren – bergen dabei aber das Potenzial, grosse Firmen oder gar ganze Wirtschaftszweige in den Abgrund zu reissen.
Es wäre an der Zeit, darüber nachzudenken, wie dieser sich selbst bezweckende Anlagemarkt von der realen Wirtschaft abgekoppelt werden kann. Ein Unternehmen soll pleitegehen, weil sein Geschäftsmodell nicht funktioniert, oder weil es schlecht geführt ist, aber nicht weil die Bank, mit der es geschäftet, einem windigen Hedgefonds-Manager aufgesessen ist. Oder weil ein paar Spekulanten beschliessen, es mit Leerverkäufen in den Ruin zu treiben.
Die Abkoppelung des Anlagemarkts von der Wirtschaft wünsche ich mir übrigens auch in der Politik. Die Coronakrise hat ja eben erst eine grosse Polit-Lüge aufgedeckt: die von den bürgerlichen «Wirtschaftsparteien». Während Linke sich für die Unternehmen stark machten, haben die Bürgerlichen die Interessen des Anlagemarktes durchgesetzt. Die KMU darben, die Anleger bleiben ungeschoren, insbesondere die Immobilienkonzerne. Wenn wir unter «Wirtschaft» die reale Wirtschaft verstehen, dann sind die Linken die Wirtschaftsparteien – und dies können sie hoffentlich künftig auch so vermarkten. Wer sein Geld mit Arbeit verdient, hat naturgemäss andere Interessen als wer bestehendes Vermögen vermehrt, hier müsste sich die «Wirtschaft» doch spalten lassen.
Die Bürgerlichen dagegen vertreten den neuen Adel. Reich wird man dieser Tage kaum durch ehrliche Arbeit, reich wird man durch Geburt. Und natürlich durch Bescheissen, legal oder illegal – wie sagte es der Betrüger zu seinem Sohn: «Es gibt viele Wege, reich zu werden, aber eins merke dir: Ehrlich währt es am längsten.»
Dieser Text erschien am 9. April 2021 im P.S., www.pszeitung.ch.