Die Welt spinnt

Nach fast zwei Jahren darf ich wieder einmal mit einer Vertretungskolumne aushelfen – eine Gelegenheit zu einem geschwätzigen Rundumschlag über alles, was ich zum Zustand der Welt schon immer sagen wollte! Die Älteren (zu denen ich mich mit bald 50 nun auch zählen muss) unter uns Linken können sich vielleicht noch an die legendäre Rubrik auf der Rückseite der WoZ erinnern, deren Titel den Zustand der Welt so schön auf den Punkt brachte: «Die Welt spinnt.»

Zuallererst spinnt natürlich Europa. An sich nicht Europa, sondern «Europa». Denn wir hier in der Schweiz sind ja wohl in Europa, hingegen nicht Teil von «Europa». «Europa» hat seine Währung mit liberalen Konzepten an die Wand gefahren und versucht sie nun mit den gleichen Konzepten zu retten. Überhaupt spinnen die Liberalen! Steuervermeidung in allen Formen haben sie sich auf die Fahnen geschrieben; wenn aber, wie in Griechenland, ganze Gesellschaftsschichten die Steuern vermeiden und es bachab geht, ist die «Ausgabenmentalität» des Volkes Schuld. Wenn Deutschland und Amerika sich die Steuern nicht durch Schweizer Geschäftemacher vermeiden lassen wollen, beklagt man laut die Einmischung des Auslands, statt sich zu schämen und Besserung zu versprechen. Es gilt, um jeden Preis das Kapital dem Zugriff des Staates zu entziehen. So ist «Sparen» das einzige Rezept zum Umgang mit der Krise. Die Völker sollen den Gürtel enger schnallen, um die Investitionen der Kapitalgeber zu schützen – sonst wird’s eng mit dem Rating, und die Kapitalgeber geben ihr Kapital anderswohin!

Beispielsweise geben sie es gern Herrn Zuckerberg. Die Börse vernichtet Kapital ja fast so effizient wie «Europa», besonders wenn ein Zauberwort Wunder verspricht. Reichte vor zwölf Jahren als Zauberwort noch «Internet», muss es heute schon «Social Media» sein. «Sozial» ist sowieso immer gut, ausser auf dem Wahlzettel.

Ob Herr Zuckerberg und seine Anleger (auf die -Innen verzichte ich bei diesem Thema, wie Ihnen eventuell schon aufgefallen ist) auf dem Papier gerade ein paar Milliarden mehr oder weniger besitzen, kann uns eigentlich egal sein. Schlimm ist die Blasenbildung jedoch auf dem Immobilienmarkt, der ja seit jeher gern als Tummelfeld für Kapitalanleger missbraucht wird. Wenn ich ab und zu die einschlägigen Seiten im Web durchgehe – ein altes Bauernhaus mit etwas Umschwung für unsere Geissen würde ich nicht ausschlagen – fallen mir vor allem die neuen Überbauungen mit überteuerten Eigentumswohnungen auf, die da stehen, wo eben noch die alten Bauernhäuser waren.

Schuld sind natürlich die Deutschen, die durch eigennützige Zuwanderung Druck auf den Wohnungsmarkt machen und jeden Preis zahlen. Das wissen wir dank Frau Rickli und dem Haus Ringier, die eine regelrechte nationalistische Hetze gestartet haben. Auch wenn nicht jeder Artikel anti-deutsch ist: Wie «die Deutschen» permanent zum Titelthema gemacht werden, wie man ohne zu erröten diskutieren kann, ob man sie mag oder ob es zuviele von ihnen gebe, erinnert übel an die Deutschen vor 80 Jahren, wie sie mit der gleichen Selbstgerechtigkeit «die Juden» zum Thema gemacht haben.

Unter dem Titel «Die Welt spinnt» darf am Ende dieser Saison natürlich auch der Fussball nicht fehlen. Dieser sei hiermit erwähnt – der Platz ist alle, und die, die es interessiert, haben sowieso die Nase voll davon.

Dieser Text erschien am 24. Mai 2012 im P.S., www.pszeitung.ch.