Grosser Bruder

Regelmässige LeserInnen dieser Seite erinnern sich eventuell an mich: Wenn meine Frau aus gesundheitlichen Gründen die Kolumne nicht schreiben kann, darf ich sie jeweils vertreten. Heute mit moderner Technik – von mir als Webprogrammierer wird gemeinhin erwartet, dass ich mit allen neuen Geräten und den damit einhergehenden Trends und Hypes vertraut sei. Dies ist zwar falsch, ich bin eher ein Technikskeptiker, aber seit etwa einem halben Jahr bin ich nun doch Inhaber eines so genannten Smartphones.

Dass diese nicht gar so smart seien, behauptet und begründet Peter Wolf in seiner Kolumne «Halbschlaues Smartphone» vom 10. Juli auf inside-it.ch. Er bemängelt, dass man den Geräten wohl viele Dinge beibringen könne, dass sie aber (noch) nicht in der Lage seien, etwas über die Lebensgewohnheiten ihrer BenutzerInnen zu lernen, um im passenden Moment selbsttätig Unterstützung anzubieten. Beispielsweise könnte Wolfs Handy merken, wenn er aus dem Zug steigt, und ihm anbieten, die gerade geöffnete Mail vorzulesen, damit er nicht mit dem Blick auf das Display in einen Pfosten läuft. Wenn er sein Büro betritt, könnte es sich daran erinnern, dass er dort jeweils den Klingelton leiser stellt, und ihm anbieten, dies gleich selbst zu tun.

Das ist alles schön, aber noch nicht zu Ende gedacht. Mit der Cumulus-Datenbank verknüpft, könnte mein Handy nämlich piepsen, wenn ich an einem Produkt vorbeigehe, das ich sonst immer kaufe – und hysterisch jaulen, falls das Produkt herabgesetzt ist! In der Nähe meiner Buchhandlung würde es mir auf Grund meines Google-Suchverhaltens eine Liste mit Buchempfehlungen präsentieren. Sind beim Selbstporträt die Haare länger als sonst, teilte es mir mit, welche Coiffeusen in meinem Stammsalon gerade frei sind – wenn möglich laut per Sprachausgabe, damit ich das Gerät nicht extra aus der Tasche nesteln muss. Ja, so ein Handy wäre ein richtiger persönlicher Begleiter, der alles über mich weiss, fast wie ein grosser Bruder!

Apropos grosser Bruder: Erinnern wir uns nicht gern an die Fichenaffäre, als die Staatsschützer Daten über uns sammelten wie «Trinkt abends gern ein Bier»? Was haben wir uns amüsiert! Heute geben wir derartige Informationen tonnenweise freiwillig an die Datensammler, und die machen wenigstens etwas daraus. Noch ist es nicht ganz so weit, aber bald wird mein Smartphone merken, wann ich an einer Lieblingsbeiz vorbei gehe, und mir aufzählen, welche Personen aus meinem Adressbuch sich darin befinden. So wie ich Google, Apple und Co. kenne, wird es mich auch gleich noch darauf hinweisen, dass es in der Bar daneben ein spritzig-bekömmliches Heineken-Bier zum halben Preis gibt, wenn ich den QA-Code bei der Kasse fotografiere und mich für den Newsletter von Ittinger Klosterbräu registriere.

Das hat natürlich auch Gefahren. Stellen wir uns einen Geschäftsmann vor, der häufig nach Frankfurt an Sitzungen muss. Auf der Ferienreise mit Frau und Kindern an die Nordsee tönt es dann kurz vor Frankfurt für alle hörbar aus der Jackentasche: «Heute im Studio Happy Love für dich frei: Lily, Daisy und Cora!»

Mir kann sowas natürlich nicht passieren. Wenn mein Handy sich in der Langstrasse meldet, wird es höchstens sagen: «An der Kaffeemaschine der P.S.-Redaktion wurden Aktivitäten verzeichnet. Persönlicher Besuch empfohlen.»

Dieser Text erschien am 18. Juli 2013 im P.S., www.pszeitung.ch.