Am Tag, als der Regen kam, setzte ich mich nach langer Abstinenz wieder einmal ins Tram, pflichtbewusst mit der Maske im Gesicht. Und musste feststellen, dass ich damit zu einer kleinen Minderheit gehöre, obwohl die Leute wieder dicht an dicht sitzen. Nun ist es ja allgemein bekannt, dass man mit der Maske weniger sich selbst schützt, sondern vor allem die anderen vor sich selbst. Es fällt mir darum schwer, es denen nicht übel zu nehmen, die direkt neben mir im Gang stehen und sich quasi über meinen Kopf hinweg unterhalten, so dass sich ihre Aerosole bestimmt sanft auf mich heruntersenken mit der gesamten Last an Viren aller Art. Hoffen wir, dass es nur die Viren sind, die schon vor Corona da waren, und mit denen mein Immunsystem klarkommt.
Dass «der Schweizer» – sorry für diesen Rückfall in den Chauvi-Slang, aber ich finde dafür grad keinen besseren Ausdruck – dass «der Schweizer» also wieder sein unsolidarisches Wutbürgergesicht zeigt, sobald die Solidarität nicht mehr von oben verordnet ist, finde ich frustrierend. «Nein, ich lasse mir garnichts vorschreiben!», oder was will uns die breite Maskenverweigerung sonst sagen? Vielleicht ist es einfach auch den meisten egal.
Ich sehe das so: Ich möchte gern möglichst bald wieder an Rockkonzerte und ins Fussballstadion. Mein Bier an der Bar trinken. Und ich möchte nicht noch einmal einen Lockdown, weil uns etwa eine zweite Welle überrollt. Die Diskussion, ob diese kommt oder nicht, ist müssig, denn wir wissen es einfach nicht. Und da wäre es doch am einfachsten und am billigsten, das zu tun, das uns nichts kostet. Im ÖV und im Supermarkt eine Maske zu tragen, kostet mich nichts als ein müdes Lächeln. Wenn es dazu beiträgt, dass das Leben bald wieder normal wird, dann hat es sich hundertmal gelohnt; wenn aber nicht, dann was solls.
Das Gleiche gilt auch für die App. Je besser das Contact-Tracing funktioniert, desto eher sind wieder Menschenansammlungen möglich. Ich werde sie deshalb installieren, sobald sie erhältlich ist – solange es mich nichts kostet, und das hängt an den Rahmenbedingungen: Die eine wichtige Voraussetzung ist, dass man sich bei einem Alarm in nützlicher Frist gratis testen lassen kann, um die Quarantänephase möglichst kurz zu halten; das hat das Parlament ja jetzt zum Glück beschlossen. Die Frage des Lohnausfalls muss aber dringend noch geklärt werden. Kein vernünftiger Mensch geht wegen einer Meldung, die höchst wahrscheinlich ein Fehlalarm ist, freiwillig in Quarantäne, wenn er dadurch Lohneinbussen hat.
Es ist natürlich etwas paradox: ich halte mich brav an die Empfehlungen des Bundes, um möglichst bald wieder an Punkkonzerte gehen zu können. Aber es ist ja auch so, Susanne Zahnd hat es im P.S. vom 5.6.2020 treffend gesagt: Den Habitus des Rebellen, der keine Regeln befolgt, haben sich längst die Rechten und die SUV-Bünzlis unter den Nagel gerissen, während wir linken PunkrockerInnen versuchen, den Schaden an Staat und Gesellschaft gering zu halten. Verantwortlich handeln ist Rock ’n’ Roll – Regeln brechen ist Helene Fischer!
Und noch ein Wort zum Datenschutz: Wer sich darum sorgt, lese nach, wie die App funktioniert. Solange die Daten auf keinem zentralen Server gesammelt werden, kann auch niemand sie missbrauchen. Die Maske hingegen ist ein probates Mittel, sich für Kameras aller Art (Gesichtserkennung!) unkenntlich zu machen. Wie oft haben wir gegen Verhüllungs- und Vermummungsverbote protestiert! Und jetzt wird uns die Vermummung nicht nur explizit erlaubt, sondern sogar empfohlen. Ergreifen wir die Gelegenheit!
Dieser Text erschien am 12. Juni 2020 im P.S., www.pszeitung.ch.